Fataler Fenstersturz oder: Entfensterung - Männer, die die Schwerkraft zu sehr lieben

„Ich möchte eine Welt ohne Schwerkraft.“ - Jim Carroll, 1980

Mein erstes Mal ist mir in Boston passiert, in einem Doppelzimmer im zwölften Stock des Hotel Essex, gegenüber einer quirligen Geschäftsstraße, die sich von der South Station her erstreckte. Es war ein Scheißraum in einem Scheißhotel in einer noch beschisseneren Nachbarschaft, aber die Columbia Marching Band hat die Rechnung für mein erstes und letztes Footballspiel bezahlt: Ich hab' das Kazoo im Spiel gegen Harvard gespielt. Egal, direkt nebenan tobte stundenlang eine direkt aus einem Stevie Guttenberg-Film entnommene Party. Ich klopfte an die Tür, gegen alles zusammengenommene Wissen und Logik der Menschheit auf eine Einladung hoffend. Ein zerzauster Cheerleader tauchte auf. Hinter ihr konnte ich die frühen Planungsstadien einer reinen Stehorgie erkennen.

„Was?“, quäkte sie, durch meinen Kopf hindurch auf den Springbrunnen in der Vorhalle schauend.

Zurück in Raum 1214 wartete Mike auf mich. „Gute Nachrichten“, sagte er. „Die Leute nebenan haben Bier über Kreditkarte bestellt, aber es wurde hier abgeliefert!“. Nachdem wir den ersten Kasten weggezwitschert hatten, stolperte ich rüber zum Fenster und lehnte mich hinaus in die Nacht. „Ich kann nicht glauben, daß ich hier mit 'nem anderen Typen geklautes Bier trinke“, sagte ich. „Vielleicht sollten wir mal die Party nebenan antesten“, schlug Mike vor. Der Single-Tanz-Mix der Go-Gos „We got the beat“ wummerte durch die Tapeten, zusammen mit gelegentlichem Quietschen und Stöhnen. „Vergiß es“, sagte ich.

Ich schaute gelangweilt einem zwölf Stockwerke tiefer vorbeifahrendem Auto zu. Ein zufälliger Gedanke flitzte durch mein Matschhirn - was wäre, wenn ich einfach loslassen würde? - und ich öffnete meine Hand. Ka-watsch! Dann besorgte ich eine leere, und wartete auf ein Auto in Reichweite. Meine Zielvorgabe war perfekt - nur ein kleiner Schwung aus dem Handgelenk, um am Gehweg vorbeizukommen - aber das Auto beschleunigte in letzer Sekunde. Meine Glasbombe ging um zwei Autolängen daneben.

Schließlich kam ein schwarzer Sedan langsam um den Block. Watsch! Volltreffer auf dem Dach!

Raus kam ein Blaulicht, das Auto wurde schneller, kehrte um und hielt vor dem Hotel. Zwei Streifenwagen kamen flott aus der Gegenrichtung auf uns zu. Ich ließ die Rolläden herunter.

Ich sagte Mike, daß die Bullen kommen. Wir zogen unsere Klamotten aus, verbunkerten das Bier im Klo, schalteten die Lichter aus und sprangen in unsere jeweiligen Betten. Ein paar Minuten später hörten wir die Bullen durch die Vorhalle trampeln. „Bostoner Polizei! Aufmachen!“. Wir antworteten nicht, aber unsere Nachbarn. Mike und ich lauschten an der Tür, derweil die Feiernden ihre Unschuld beteuerten. Wir kicherten leise, als sie in Handschellen abgeführt wurden.

Trotz meines vielversprechenden Anfangs fand ich nicht wirklich als Entfensterer zu mir selbst, bis zu meinem zweiten Studienjahr. Es war 1982, und Columbia war immer noch rein männlich. Dank eines bestechlichen Studenten im Hausbüro war ich einer der acht Jungs, die zu einem neuen versuchsweisen Wohnaustausch mit dem rein weiblichen Barnard College zugelassen wurden. Das Problem war, daß die Frauen alle dachten, wir wären nur dort, um uns flachlegen zu lassen - was nicht ganz unwahr war -, also wurden wir hauptsächlich ignoriert.

Glücklicherweise habe ich mich bald mit Chris befreundet, einem Mit-Ingenieursstudenten, dessen Zimmer im fünften Stock des Brooks-Hewitt-Reid-Baus die Claremont Avenue überblickte.

Eines Nachts bei Chris' teurem Gras und meinem billigen Wodka erzählte ich Chris von Boston. Ich überzeugte ihn rasch, daß sich sein Zimmer ideal für nächtliche Schwerkraftexperimente eignen würde; der halbmeterbreite Fenstersims würde exzellente Deckung vor Opfern, die unsere Position herausfinden wollten, bieten. Unglücklicherweise führte Woolworth nur normale Ballons, die Sorte, die Leute auf Festen an der Wand befestigen, anstatt richtiger Wasserballons. Ich kehrte in den Schlafsaal zurück, ging in Chris' Zimmer, und versuchte, den ersten Ballon im Waschbecken zu füllen. Wir waren so besoffen und bekifft und geil und blöd, daß wir nicht bemerkten, wie beschissen groß die Dinger waren, oder daß jeder glatte vier Liter Wasser faßte.

Wir waren beide Physikstudenten, also verließen wir uns natürlich auf eine Stoppuhr, um die durchschnittlichen Laufgeschwindigkeiten der Passanten zu ermitteln. Um die Zeit zu ermitteln, die ein Objekt zum Fallen über sechs Stockwerke braucht (Straßenniveau war zwei Stockwerke unter Hofniveau), verwendeten wir die Standardformel s=1/2 a*t^2 (s ist die Strecke, a die Schwerebeschleunigung von 9,81 Metern im Sekundenquadrat, und t die Zeit). Schnell fanden wir die richtige Ritze im Gehweg heraus, wo das Ziel zum Loslaßzeitpunkt sein sollte, um einen Volltreffer zu garantieren.

Etwas so kleines wie einen menschlichen Querschnitt zu treffen ist nicht so leicht von so hoch droben, besonders wenn es unvorhersehbaren Veränderungen in Richtung und Geschwindigkeit unterliegt. Der erfolgreiche Entfensterer muß in weniger als ein paar Sekunden ein Ziel auswählen, dessen zukünftige Position abschätzen, Windrichtung und -widerstand ausgleichen, den Abschuß ausführen und in Sichtdeckung zurückkehren. Außerdem liegt die größte Belohnung im Gesicht des Opfers, wie die Figur des George Scott in „Firestarter“ zeigt, der die Augen seiner Opfer im Moment ihres Sterbens betrachtet; es gibt schier nichts vergleichbares zum Gemisch aus Überraschung und Unbehagen dessen, der mit einem großen Wasserballon eingeseift wurde. Dableiben, um diese Reaktion mitzubekommen, erhöht natürlich die Chance, erwischt zu werden; aber Vergnügen beinhaltet immer ein Risiko.

Selbst bei dem unfähigsten Anwender der Schwerkraft braucht es nicht lange, geübt zu werden, aber wir wurden so geübt, daß wir uns oft selbst überraschten. Zuerst waren wir damit zufrieden, unsere zu Fuß gehenden Opfer heillos zu erschrecken, indem wir auf den Gehsteig direkt vor ihnen warfen. Das übliche Hochspritzen und das ziellose Rumschreien der Erwischten wurde jedenfalls rasch langweilig; also entwickelten wir zum Rechtfertigen, warum wir menschliche Wesen aus absurd großer Höhe mit mehr als fünf Pfund wiegenden Gegenständen bewarfen, ein ausgefeiltes System sozialen Einschätzens. Das System war folgendes: Wir trafen Muskelprotze. Wir trafen einsame Muskelprotze, wir trafen Muskelprotze in Gruppen, und wir trafen Muskelprotze mit ihren Freundinnen (Kollateralschäden waren bedauerlich, aber selten).

Für Nichteingeweihte ist es völlig unmöglich, die idiotisch-destruktive Fröhlichkeit voll zu verstehen, die aus einem geglückten Wurf resultiert. Der fragliche Muskelprotz latscht glücklich die Straße lang, plant, sich eine Pizza zu besorgen oder eine Stunde im Buchladen zu verbringen und danach einen bierseligen Abend zu verbringen oder ein bißchen zu knutschen oder was auch immer. Aber seine Nacht ist ruiniert, bevor er es um die Ecke der 116ten Straße schafft. Er ist naß bis auf die Knochen, gedemütigt, gebrochen. Er kann nichts tun, außer wie eine verwundete Wildsau eine unsichtbare Nemesis anzuschreien und naß und allein heimzugehen. Für den Gesetzesbrecher andererseits ist die Situation nur zum Gewinnen. Gemütlich und warm daheim, von Kerzen und Pink Floyd und Fusel umgeben, verspricht ein Waschbecken voll geladener Wasserballons einen Abend mühelosen Spaßes auf Kosten abscheulicher Athleten.

Die Suche nach billigen Vergnügungen brachte Chris und mich dazu, ausgefeiltere Pläne zu entwickeln. Wir kamen auf einen Eins-Zwei-Hau-Rein-Trick, für den Chris in seinem Zimmer blieb, derweil ich im Fenster eines öffentlichen Waschraums acht Meter weiter den Gang runter Stellung bezog. Ich würde dem Opfer einen kleinen Ballon absichtlich vor die Füße schmeißen. Es würde instinktiv einen Schritt zurückweichen und zufrieden lächeln, weil es seine blitzartigen Reflexe und katzenartigen Bewegungen retteten. Genau dann würde Chris seinen monstermäßig riesigen Ballon direkt auf seinen Scheitel fallen lassen, derweil ich die ganze Sache mit einem Feldstecher betrachten würde. Der Kopf würde beim ersten Aufschlag nach vorne gehen und genau rechtzeitig zurückschnappen, um den Rest des Ballons in's Gesicht zu bekommen. Der ganze Körper erbebte beim Einschlag. Es war großartig.

Es gab in unseren einjährigen Bombenfeldzug viele gloriose Errungenschaften - der Typ, der seine Zeitung beim Gehen las, nur um sie vom einem perfekt gezielten Ballon zu Pappmaché verarbeiten zu lassen; der Latino im weißen Anzug, den wir in übriggebliebener Spaghettisauce ertränkten; der orgiastische Sieg einer durch ein offenes Porscheverdeck fallenden mittelgroßen Wasserrakete - aber am meisten mochten wir regnerische Tage. Wenn sich die Straßen mit schwarzen Regenschirmen füllten, vergaßen wir unseren traditionellen Respekt vor Frauen und Fachidioten. Wir bebombten unterschiedslos die Alten und die Jungen, die Schmächtigen und die Trainierten - es war einfach sagenhaft! Jeder Regenschirm bricht bei einem richtig plazierten Fünfliterballon zusammen, liefert aber dennoch genügend Schutz, um seinen Besitzer vor Schaden zu bewahren. Das beste war, daß niemand je Lunte roch. Nie schaute jemand nach oben oder schrie herum - sie nahmen wohl einfach an, daß der weltgrößte Regentropfen ihren Tag bereicherte.

Auf diese Weise ballonierten wir ungefähr sechs Stunden am Tag über eine Periode von neun Monaten, aber wir wurden überraschenderweise nie erwischt. Um der Monotonie auszuweichen hingen wir auf den Dächern der „Schule für internationale und öffentliche Angelegenheiten“ herum, aber in New York ist der Ort alles. Niemand läuft nachts in der Gegend der Amsterdam Avenue herum. Das stete Wechseln unserer Wege machte uns zu Legenden. Graffiti in den Waschräumen der Columbia fragten: „Wer sind die verrückten Balloniere“? Der „Columbia daily spectator“ brachte ein Editorial heraus, das die „bösartigen Soziopathen“ beklagte, deren Luftterror-Feldzug die komplette Universität zwang, beim Gehen nach oben zu schauen.

Es wurde immer schwerer, Läden zu finden, deren Ballonvorräte wir im Lauf der Zeit noch nicht leergekauft hatten. Woolworth war ausverkauft, die Bodega an der 117ten Straße war ausverkauft, die Kinderabteilung bei Sloan war ausverkauft. Das brachte uns zum Atomballon.

Ich entdeckte den A-Ballon im alten May an der 14ten Straße. Es war einer dieser runden, roten Seckel, ungefähr sechzig Zentimeter im Durchmesser, mit einem langen, elastischen Band befestigt, das Kinder festhalten, derweil sie auf dem Ballon rumhauen, um Arschtritte trainiert zu haben, wenn sie Teenager geworden sind.

In jedem Fall habe ich nicht kapiert, was das war, oder wie verdammt massiv, bis ich zurück in Hewitt Hall war. Chris' Waschbecken war zu klein dafür, also haben wir ihn in der Badewanne gefüllt und zugebunden. Er hat vielleicht fünfundzwanzig Kilo gewogen und war zapplig wie nix. Wir beide hatten keine Chance, das Viech aus der Badewanne zu bekommen.

„Er ist zu groß“, sagte Chris. „Wir müssen ihn abmurksen“. Er nahm ein Messer und stach wiederholt auf ihn ein, aber es hat nicht geklappt. Das Gummi war zu dick und flexibel und naß.

„Wir können das Scheißding nicht hierlassen“, bemerkte ich. „Wenn ihn jemand findet, wissen sie, daß wir die verrückten Balloniere sind. Wir müssen ihn loswerden“.

Es gab nur eine Lösung: Chris ging unseren gemeinsamen Freund Ken holen. „Ken“, vertraute er ihm an, „Ted und ich haben ein Problem. Wir brauchen deine Hilfe“.

Ken und Chris und ich mühten uns mit dem Monsterballon ab, und schleppten ihn zum offenen Fenster. Die Nacht war kalt und klar draußen; der nächste Fußgänger war fünf Blocks nördlich in der Seminary Row. „Nur weg vom Gebäude, und laß ihn auf den Gehsteig fallen“, wies ich an, „wir wollen nicht, daß das Ding jemandes offenes Fenster trifft“.

Wir ließen los und legten einen Blitzstart hin. Eine Sekunde später ließ der lauteste Lärm, den ich je hörte, Claremont erzittern. Der Typ nördlich blieb stehen und schaute. Auf der anderen Straßenseite wohnende Professoren kamen an ihre Fenster. Tief unter uns hatte es das Dach eines roten Cadillacs in die Sitze eingedrückt. Fetzen roten Gummis schwammen im Tümpel des Dachkraters. Der Caddy lag volle dreißig Zentimeter tiefer; offenkundig eines Achsbruchs wegen. Ein kleiner Baum wurde von der tödlichen Flugbahn des Atomballons völlig entblättert, überall Blatter verteilend.

Am nächsten Morgen sah ich meinen Statistikprofessor ein Gebäude gegenüber der 116ten Straße verlassen. Er ging vernebelt über die Straße, probierte seine Schlüssel im Türschloß und gab auf. Er nahm eines der über die Haube verteilten Ahornblätter, faltete es vorsichtig und schob es in seine Hosentasche. Dann ging er davon.

Nächstes Jahr zog ich in's „East Campus“, einem zwanzigstöckigen Stapel aus zweitklassigen Trockenmauern, aufgebaut auf ein solides Fundament aus Ratten und Baurechtsverstößen, das Morningside Park und Zentralharlem überragte. Chris wohnte auf Nummer 4, ich wohnte auf 10. Wir waren rasch wieder im Geschäft.

Geläutert durch unsere Erfahrungen mit dem Atomballon und dem exponentiellen Effekt von fünf Extra-Stockwerken auf das Zeug, das wir aus dem Fenster warfen, gaben wir uns mit normalen Wasserballons zufrieden - ich fand einen Postversand, der nie an Lieferschwierigkeiten litt - und mit Eiswürfeln. Das „East Campus“ bot ein vollkommen unterschiedliches Spiel: Wenig Fußgänger, aber eine Menge Taxis. Außerdem waren die Winde grausam; unmöglich, exakt zu zielen. Unser krönender Ruhm war, einen Pudel bewußtlos zu schlagen, als er von seinem Besitzer, einem glatzköpfigen, in ein rosa Fahrradhemdchen gekleideten Mann, ausgeführt wurde; davon abgesehen haben wir wenig getroffen. Natürlich wurden wir dann erwischt.

Eines nachmittags kam ich heim und fand einen Haufen birnenförmiger Universitätswachleute in meiner Bude. „Jemand hörte paramilitärischen Jargon aus dieser Wohnung“, sagte der Chefwachmann, ein drahtiger Mittvierziger. Wann immer Chris und ich einen Abwurf vorbereiteten, redeten wir in einem Gemisch aus Raumschiff Enterprise und NASA-Zeug wie „Tarnvorrichtung aktivieren“ (den Vorhang zur Seite ziehen) und „Ziel aufgeschaltet - Feuer! Feuer!“. „Ich habe keinen blassen Dunst, wovon Sie reden“, sagte ich.

„Und was ist mit all dem Wasser auf dem Fensterbrett?“, fragte er. „Es regnet. Das Fenster ist offen“, bemerkte ich.

„Wir wissen, daß Sie diese Schreibmaschine auf den Motorradfahrer fallen ließen“, sagte er, bescheuert grinsend. „Er brauchte ein paar Dutzend Stiche. Ich hoffe, Sie sind zufrieden“. Wir haben keine Schreibmaschinen benutzt - aber, wenn man schon dran denkt, warum nicht?

Am nächsten Tag wurden Chris und ich dauerhaft aus dem Wohnheim rausgeschmissen.

Meine Balloniertage waren dennoch noch lange nicht vorbei. Ich zog mit meiner Freundin in ein viergeschossiges, fahrstuhlloses Haus inmitten des Barrios Ecke Amsterdam und 101ter Straße. Es könnte sich gut um den lautesten Platz New Yorks bewerben; es gab eine Polizeistation, eine Feuerwehrstation und eine Schule, Spielplatz und Schwimmbad über der Straße, ganz zu schweigen von einer Bushaltestelle und ein paar losen Stahlplatten inmitten der Kreuzung. Amsterdam war eine Lastwagenroute, aber das übelste war die Ampelschaltung - der Verkehr hatte ab der 72ten Straße die ganze Zeit Grün, nur um kollektiv quietschend vor dem unvermeidlichem Rot in der 101ten stehenzubleiben. Die Frederick-Douglas-Wohnprojekte lieferten steten Nachschub an Bummlern, Schulschwänzern und ganznächtlich „Hey yo“-schreienden Typen. Aber die ganze Scheiße verblaßte im Vergleich zu dem Chaos, das die Bodega im ersten Stock des Gebäudes umgab.

Der Laden kümmerte sich kaum darum, wenigstens Nahrungsmittel vorrätig zu halten; das Hauptgeschäft lag in Drogenverkäufen über die Theke. Wenn du reinliefest, um Milch zu kaufen, würde der Verkäufer den Kopf über deine Ahnungslosigkeit schütteln. Ein Schwarm junger Männer hing ominös herum und machte mit einer Inbrunst wie auf der Börse Geschäfte, derweil ihre Brüder an beiden Ecken in zweiter und dritter Reihe parkten und nach Bullen Ausschau hielten. Dezenz war keine Eigenheit ihrer Geschäfte; diese Jungs schrien bis morgens um 5, was ihre Lungen hergaben, kämpften und lärmten den gleichen Rapsong wieder und wieder. Jede Nacht zog in einem Nebel des Angenervtseins und der Rachefantasien vorbei.

Ich rief wiederholt die Polzei, aber nichts passierte je. Dann, eines Samstagsmorgens, war ich zufällig bei Woolworth, um Pflanzenerde zu kaufen, als ich durch die frisch erneuerte Partyballonabteilung kam. Sie hatten etwas, das ich nie vorher sah: Schwarze Ballons, perfekt für nächtliches Bomben.

Ich füllte an diesem Abend ein Waschbecken voller schwarzer Ballons, jeder mit brühheißem Wasser gefüllt (es war damals mitten im Winter), und wartete im abgedunkelten Schlafzimmer. Das Schlachtfeld war sehr zu meinem Vorteil; meine Ziele waren ortsfest und nicht sehr helle, also keine Notwendigkeit für das gute, alte s=1/2 a*t^2. Die Strolche gaben perfekte Zielscheiben ab; alles, was man tun mußte, war zielen und loslassen. Ein Cabrio kam heran, aus den Lautsprechern wummerte der damals allgegenwärtige Scheißhit „It takes two“. Ich nahm den Typ im Rücksitz mit einem Glückstreffer in's Visier, knapp hinter den Kopf, genau das Rückgrat hinunter.

„Scheiße!“ gellte der Typ. Aber er bewegte sich nicht, und sah nichtmal nach oben, überraschenderweise. Ich nehme an, es galt vermutlich als schlechtes Benehmen, die männlich-stoische Haltung zu verlieren. Die Strolche vorne ignorierten ihn. Ich warf zwei mehr; einer traf in seinen Schoß und der andere ging vorbei. Keine Chance, daß das nicht wehtat wie Sau.

„Verdammt! Scheiße!“, sagte der unglückselige Drogendealer.

„Was zur Hölle?“ meinte der Fahrer, sich niemals umwendend.

„Es ist naß hier hinten!“, sagte der Typ, der wirklich sehr naß war.

„Was soll das heißen, naß?“

„Ich sagte, es ist naß hier!“

„Halt's Maul, Wichser“, kommentierte der Mann im Vordersitz beiläufig. Ich gab Sperrfeuer auf alle drei. Bumm-bumm-bumm!

„Scheißdreck! Hier ist's naß!“, schloß der Fahrer. „Weg hier!“. Das Auto zog ab. Niemand schaute hoch.

Ich hatte eine Eckwohnung, also ging ich in's Wohnzimmer. Sicher genug kamen die gleichen Arschlöcher eine Minute oder zwei später wieder an und parkten vor dem Hydranten. Ich ließ sie sich ein paar Minuten entspannen, derweil ich nachladen ging. Die Feuertreppe blockierte die direkte Sicht von der Straße her; egal, mein Fenster war bereits wieder geschlossen, als der erste Ballon am Boden ankam. Ich traf den Depp im Rücksitz mit einem Ballon von Pampelmusengröße. Wutsch! „Scheiße, Mann! Der ganze Platz ist naß!“

„Was! Hier auch?“, fragte der Fahrer verblüfft.

Ich schmiß das restliche Dutzend Ballons so fest, daß die Jungs im Auto einem der Ghettotypen über den Fuß fuhren. „Ich bring dich um, Mensch!“, schrie der Typ mit dem Fuß, als ich einen Großen auf seine Schulter warf. Prompt drehte er sich um und schlug einem anderen Typen in die Fresse.

Meine Einmannkampagne zum Aufräumen der Upper West Side ging für ungefähr sechs Wochen so weiter. Die störrischeren Schurken verlangten etwas effektiveres; dafür verließ ich mich auf der Fingerabdrücke wegen sauber abgewischte „Rolling Rock“-Flaschen. Schließlich waren die Dealer weg. Zerschrammt und verbrüht verlagerten sie ihre Operationen zu der 104ten Straße, wo sie jemand anderes Problem wurden. Die Lastwagen fuhren über die Stahlplatten und die Sirenen heulten beim Vorüberfahren, aber ich erfreute mich zum ersten Mal nach einer sichtlich endlosen Zeit richtigen Schlafes. Meine Laune veränderte sich vorteilhaft, und ich gelobte, meine Laufbahn als verrückter Ballonier ein für alle Mal an den Nagel zu hängen.

Dann wachte ich während einer Sommernacht '95 wegen dem Geräusch von jemandem auf, der außen vor meinem Fenster kotzte. Ich lebte in Berkeley, Kalifornien, wo das Recht, sich wie ein Riesenarschloch zu benehmen, das Recht jedes anderen übertrifft, sich nicht solcherart Arschlochereien wie vorher genannt aussetzen zu müssen. Ich stand auf und sah aus dem Fenster. Dort, direkt unter mir, hatte ein Auto angehalten. Die Fahrertür war nun geöffnet, und ein besoffener Fahrer war damit beschäftigt, Bröckchen über die Fassade meines Hauses zu spucken. Wegen unserem trägen Hausmeister und der Tatsache, daß es in Kalifornien niemals regnet, wußte ich, daß ich die Kotze ewig riechen würde.

Ich nahm eine „Sierra Nevada“-Flasche aus dem Altglas und weckte meine Frau. „Meinst du, ich hab's noch drauf?“, fragte ich sie. Es war ein bißchen knifflig - meine Beute war platzmäßig eng eingekeilt. Ich würde einen leichten Schwung nach oben brauchen, um am Zitronenbaum zur Rechten vorbeizukommen. Das Arschgesicht war immer noch am Kotzen, als ich zurückkam. Ich triangulierte sorgsam, die leichte Ozeanbrise einkalkulierend, hielt sacht nach oben und hoffte auf das Beste. Es war superb. Anstatt auf den Kürbis des Säufers traf ich die Heckscheibe. Er gab Gas und zischte ab, die hintere Stoßstange eines parkenden Autos verstümmelnd.

„Ich kann's nicht glauben!“, erzählte ich meiner Frau. „Ich hab's perfekt hinbekommen!“.

„Mach dir nichts draus, Liebling“, murmelte sie. „Du wirst immer mein verrückter Ballonier sein.“.

 

Das Urheberrecht bzw. (c) dieser Geschichte: Ted Rall. Das Original liegt ebendort. Übersetzung: Christian Rößler, 2004, mit freundlicher Genehmigung des Autors.